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Rage und Respekt
Fotos: Max Brunnert, Andi Weiland, Sang Hoon, Tibet Theatre, Camilla Adams

Rage und Respekt

Lesedauer: ca. 3 Min. | Text: Stefan Prott

Gewagter, politischer, internationaler, überraschender – im Jahr 1 nach der Pandemie können die Ruhrfestspiele wieder aus den Vollen schöpfen und zu alten Stärken zurückkehren. Im Interview spricht Intendant Olaf Kröck über das Programm und sein Motto, das so gut zur Zeit passt wie selten:

Endlich wieder ein Festival ohne Einschränkungen. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Olaf Kröck: Dass wir Theaterkunst machen und uns wieder hier auf dem Hügel unbefangen treffen können! Denn das ist das Besondere am Theater: Wir sind eine Livekunst-Form und müssen Menschen begegnen – egal, ob auf der Bühne oder, wie bei mir, dahinter. Das geht endlich wieder, und das ist beglückend.

Es ist wieder ein Festival der Künste – mit einem Dutzend großer Theaterproduktionen, aber auch viel Tanz, Literatur und Neuem Zirkus. Wie setzen Sie diese Akzente?

Zuerst sind wir ein Kunstfestival, das sich der zeitgenössischen Kunst, dem Theater und seinen Nebenkünsten widmet. Das darf nicht zur Folge haben, dass Menschen, die nicht regelmäßig ins Theater gehen, nicht zu uns finden. Wir sind ein Festival für alle!
Es gibt diesmal viele Beispiele, die diesen Anspruch einlösen: Simon McBurney ist ein Großmeister darin, Theater für alle zugänglich zu machen. Oder eine Tanzarbeit wie „Manifesto“ aus Australien, die sehr breitenwirksam und effektvoll ist – und zugleich ein fantastisches Beispiel für zeitgenössische Musik und Tanz.

Sind die Ruhrfestspiele 2023 avantgardistischer geworden?

Wichtig ist es, die Bodenhaftung zu behalten – das kann zeitgenössische Kunst. Kunst darf auch komplex, kompliziert und ohne Interesse am Publikum sein. Aber wir schauen auf Kunst, die all das Gesagte erfüllt und die Tore weit aufmacht. Hochmodern, mit Anspruch, herausfordernd, aber verstehbar. Und damit meine ich nicht, dass man jeden Satz interpretieren kann, sondern dass man es emotional und sinnlich versteht, dass man sich eingeladen fühlt, sich einzulassen.

Es sind wieder viele prominente Künstlerinnen und Künstler im Programm – wie wichtig sind die großen Namen?Die Ruhrfestspiele zeigen wegen der Größe und des

Qualitätsanspruchs große Namen, aber diese Namen dürfen nicht Selbstzweck sein. Simon McBurney oder Peter Brook sind
sehr, sehr prominente Persönlichkeiten der Kunstszene und stehen für Qualität. Aber auch Künstler*innen wie Isabella Rossellini oder Katja Riemann kommen nicht, weil sie eine Karriere im Film gemacht haben, sondern weil sie im Theater etwas vermitteln wollen. Das ist kein oberflächlicher Starkult, das fände ich uninteressant für uns.

Das Politische liegt im Gen des Festivals. Wo diesmal?

Drei Arbeiten stehen im Zentrum: „Pah-Lak“ vom Tibet Theatre. Die Tibeter erzählen in diesem Stück eindringlich vom gewaltlosen Widerstand gegen die Unterdrückung ihrer Kultur. „AND NOW HANAU“ beschäftigt sich mit dem Terrorismus im eigenen Land gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Und dann Kiril Serebrennikov: Der ist gerade umstritten, weil er plötzlich auf sein Russischsein reduziert wird – dabei war er fünf Jahre im Hausarrest, unter anderem wegen seiner expliziten Kritik an Putin. Seine Arbeit „Der Wij“ setzt ein Zeichen: ein russischer Regisseur, ein junger ukrainischer Autor und die klassische Erzählung von Gogol über einen ukrainischen Mythos.

Mit dem Motto „Rage und Respekt“ reagieren Sie auf gesellschaftliche Spannungen – was sorgt Sie?

Nur ein Beispiel: Der Umgang mit dem Protest der Klimabewegung hat mich erschreckt – weil hier eine junge Generation, die Angst vor der eigenen Zukunft hat, in einer Art und Weise beschimpft und angegangen wird, die nicht richtig ist. Egal, ob man mit den Positionen oder Formen des Protests einverstanden ist: In einer Demokratie muss Widerstand möglich sein. Deshalb haben wir dieses Antipoden-Paar gebildet: Die Rage ist in unserer Gesellschaft zunehmend stark spürbar – aber Respekt muss immer die oberste Prämisse sein.

Ihr Tipp, wenn ich „out of the box“ etwas erleben will?
Ich kann immer empfehlen, sich zu trauen und in etwas reinzugehen, bei dem man nicht genau weiß, was sich dahinter verbirgt. Weil ich sicher bin, dass wir alle Arbeiten so gewissenhaft ausgewählt haben, dass sie einen emotional erreichen, faszinieren oder auch mal durchschütteln.

Info
Ruhrfestspiele

Otto-Burrmeister-Allee 1
45657 Recklinghausen

https://www.ruhrfestspiele.de/

Alle Produktionen der Ruhrfestspiele finden Sie im Spielplan. Weitere Informationen zum Programm, den beteiligten Künstlerinnen und Künstler und ihren Produktionen finden Sie zudem im Programmbuch und unter www.ruhrfestspiele.de

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